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Hundeerziehung: Positive Verstärkung - was ist das eigentlich?

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"Positive Verstärkung" - ein schöner, aber auch unverstandener Begriff. Hundeerziehung, oder Erziehung im Allgemeinen, bedeutet letztlich immer Verhaltensmanipulation. Man verändert ein Verhalten in die gewünschte Richtung oder baut vollkommen neue Verhaltensweisen auf und stellt sie schließlich unter Signalkontrolle. Die klassische Konditionierung sowie weitere Aspekte, unverdienter Weise mal an dieser Stelle bei Seite gelassen, bedienen sich letztlich alle Hundehalter im Hundetraining lerntheoretischer Instrumente der operanten/instrumentellen Konditionierung. Sehr vereinfacht dargestellt wird ein Verhalten u.a. durch seine unmittelbaren Konsequenzen beeinflusst. Eine angenehme Konsequenz verstärkt das unmittelbar vorher gezeigte Verhalten.

Positive Verstärkung

Positive Verstärkung bedeutet nichts anderes, als dass der Hund unmittelbar nach einer erwünschten Handlung eine angenehme Konsequenz (Primärverstärker/Belohnung) erhält. Diese führt zu einer Verstärkung des unmittelbar davor gezeigten Verhaltens, welches fortan häufiger gezeigt wird. Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass "positiv" hier im Sinne von "hinzufügen" gemeint ist.
Beispiele:

  • Hund setzt sich auf Signal hin und erhält Futter.
  • Hund reißt den Futtersack auf und kommt dadurch an das Futter.

Die durchaus begrüßenswerte Idee mit dem Hund gewaltfrei über Mechanismen der positiven Verstärkung zu arbeiten bedeutet also nicht anderes, als dem Hund als Konsequenz auf gewünschtes Verhalten (z.B: sich setzen) etwas Angenehmes anzubieten.

Was sind Primärverstärker?

Wenn man mit seinem Hund über positive Verstärkung, also über eine angenehme Konsequenz arbeiten möchte, so muss man sich bewusst machen, was angenehm für den Hund ist. Primärverstärker sind alle Dinge, die der Hund von Natur aus als angenehm betrachtet und haben oder tun möchte. Dies können Ressourcen wie z.B. Futter sein. Ebenso gehören z.B. auch Sozialkontakt zu Artgenossen, Sozialkontakt zum Menschen, Beute bzw. Beuteersatz, Spiel, Wasser, die Möglichkeit Triebe wie den Sexualtrieb oder Jagdtrieb auszuleben, und andere dazu. Zugegeben: Nicht alle Primärverstärker sind für den Praxiseinsatz geeignet. Es dürfte sich schwer gestalten seinen Hund mit der Auslebung des Sexualtriebes zu belohnen.

Ab und an sieht man Trainer, welche behaupten, sie arbeiten weder mit Zwang noch mit Belohnung. Per Definition ist das zwar gar nicht möglich - dennoch haben sie nicht ganz unrecht. Sie nutzen letztlich geschickt andere Verstärker, wie z.B. positiven Sozialkontakt zum Hund, gepaart mit klarer Kommunikation und beweisen, dass "ständiges Keksewerfen" kein Universalrezept der Hundeerziehung sein muss. Eine wunderschöne Sache, die jedoch sowohl den geeigneten Hund als auch die notwendige Erfahrung und gegenseitige Bindung erfordert.

Welcher Primärverstärker ist geeignet für meinen Hund?

Die meisten Hundehalter, aber auch einige Trainer sind häufig leider zu bequem oder zu einfallslos und denken sofort an Leckerchen als Belohnung/Verstärker - ein sehr großer Fehler. Alle Primärverstärker haben für einen Hund einen unterschiedlichen Wert und taugen damit auch unterschiedlich gut (oder eben schlecht) als Belohnung für den Hund. Der Wert eines Primärverstärker ist sowohl sehr stark von rassebedingten Prädispositionen, den charakterlichen individuellen Veranlagungen eines Hundes, aber auch und vor allem von der aktuellen Situation, in der er sich aktuell befindet, abhängig.
Beispiele:

  • Ein sehr satter Hund wird sich für Futter als Belohnung im Training nur bedingt begeistern lassen.
  • Ein Hund nach einer 6 – stündigen Wanderung mit leerem Magen wird sich vermutlich eher für Futter als für ein Rennspiel begeistern.

Es ist daher für ein effektives Training enorm wichtig, alle Faktoren für die Wahl der richtigen Belohnung zu berücksichtigen und der Situation angemessene individuell zugeschnittene Verstärker zu entdecken. Diese Unterschiede erschweren aber nicht nur ein Training, sondern ermöglichen auch präzise Differenzierungen bei der Detailarbeit. So lassen sich z.B. exakte Ausführungen gewünschter Verhaltensweisen (zum Beispiel ein enges "bei Fuß") nicht nur durch die Belohnungsintervalle und Quantität sondern eben auch durch eine Differenzierung im Hinblick auf die Qualität exakt belohnen - sofern man um sie weiß.

Sekundärverstärker

Auf Sekundärverstärker sei hier nur kurz eingegangen. Sekundärverstärker, sind klassisch konditionierte optische, olfaktorische, taktile oder akustische Signale, welche einen Primärverstärker ankündigen. Vermutlich kennt fast jeder Hundehalter den folgenden Effekt: Der eigene tief schlafende Hund kommt aus der hintersten Wohnungsecke angerannt, wenn man nur ganz leise mit der Leckerchentüte knistert. Das Knistern wurde unbewusst zum Sekundärverstärker durch ständige ungewollte klassische Konditionierung nach dem Prinzip: Tüte knistert + Hund kriegt einen Keks.

Nun könnte man meinen, dass dies zwar interessant aber unwichtig ist. Weit gefehlt. Sekundärverstärker haben die Eigenschaft Primärverstärker anzukündigen und wirken damit selbst, wenn auch abgeschwächt, verstärkend und helfen als Brückensignal bei der Überwindung der Zeit zwischen einem gezeigten Verhalten und tatsächlicher positiven Verstärkung durch den Primärverstärker.
Dieser Umstand hat 2 wichtige Effekte zur Folge:

  1. Zum einen verdanken alle Hundehalter mit sehr schlechtem Timing dieser Tatsache, dass ihr Hund überhaupt etwas lernt.
  2. Zum anderen wird genau dieser Umstand beim Clickertraining ausgenutzt. Der Klick ist nichts anderes als ein Sekundärverstärker, welcher letztlich ein bestimmtes Verhalten markiert und die Zeit zur Gabe des Primärverstärkers überbrückt.

Die Grenzen der positiven Verstärkung

Die Arbeit über positive Verstärker ist eine wundervolle, gewaltfreie sowie motivierende Möglichkeit gemeinsam mit seinem Hund zu arbeiten und Erfolge zu erzielen. Dennoch hat sie ihre Grenzen. Unsere Hunde sehen sich permanent Konflikten gegenüber. Der Kumpel lockt aus der Ferne zu einem Jagdspiel. Der Hamburger auf dem Boden ist zu verlockend, etc. Letztlich sehen sich unsere Hunde ständig Außenreizen ausgesetzt, welche letztlich nichts anderes sind als konkurrierende Primärverstärker. (Beispiel: Gehe ich weiter "bei Fuß", oder düse ich ungefragt zum Hamburger).

Eine besondere Herausforderung stellen selbstbelohnende Verhaltensweisen, wie z.B. die Jagd dar. Die Hatz ist für den Hund notwendiger Weise ein Verhalten, bei welchem enorme Glückshormone ausgeschüttet werden. Eine enorme Selbstbelohnung, welche es dem Hundehalter oft schwer macht, mit seinem Futterbeutel zu konkurrieren. Möchte man zuverlässige Signalkontrolle erlangen, so stößt man in vielen Fällen aus praktischen Gründen mit ausschließlich positiver Verstärkung an seine Grenzen.

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